Biografische Notizen, 1975-2007

Die nicht abgeschloßene Gegenwart.

Meine Kunst ist der geformte Teil meines Lebens, der in der Öffentlichkeit auftritt. Der hier folgende, zurückblickende Text ist auch ein Teil davon. Ich denke, daß ich mir alles ausdenke und zugleich, daß alles wahr ist und auch, daß das, was ich tue, bereits getan worden ist.

1972-1979
1974 zog ich nach Boxtel, einem Dorf ganz in der Nähe von ´s-Hertogenbosch, wo ich die Akademie besucht hatte. Hier fing ich an, in meinem ersten eigenen Atelier zu arbeiten. Ich zeichnete viel und machte Grafiken: Kaltnadelradierungen und eingefärbte Drucke, die ich in den Sommermonaten für wenig Geld auf Kunstmärkten verkaufte. Ich kümmerte mich um einen Gemüsegarten, schrieb Gedichte und malte mir aus, einen Film zu machen. Inspiriert von der Geschichte Nachtwald von Djuna Barnes schrieb ich ein Drehbuch. Das Skript habe ich noch, aus dem Film ist nie etwas geworden. Mit dem Schreiben hatte ich an der Akademie begonnen, angeregt von Sipke Huismans, dem Grafikdozenten. Sipke hatte die Angewohnheit, seinen Studenten jede Woche einen Brief zu schreiben -und die Studenten schrieben ihm zurück. Schreiben wurde Teil meines Künstlertums.
An der Technischen Universität belegte ich den Kurs “Marxismus”und entwickelte so Intereße an historischen, revolutionären Kunstbewegungen in Europa. Insbesondere mit den rußischen Konstruktivisten habe ich mich lange und eingehend beschäftigt. Ich suchte nicht die “Revolution”im politischen Sinne, sondern nach einer Art direkt, ohne vermittelnde Symbole, Kontakt zur Welt herzustellen. Eine Konstruktion ist ein einfaches Modell von Verbindungen: Das eine wird mit dem anderen auf bestimmte Weise so verbunden, daß eine feste Einheit entsteht. Die Sehnsucht nach Realitätßinn fand ich in den Arbeiten und Ideen von Tatlin wieder, der als ideologischer Verfechter einer neuen Welt ohnehin auf der Suche nach einer konkreten materiellen Übersetzung dieser neuen Welt war. Das Konzept “Konstruktion”als Modell und Bild einer Gesellschaft wurde ein ergiebiger Ausgangspunkt für meine Arbeit. Tatlin liebte den Eiffelturm genau wie ich und zu sehen, wie sein Monument für die Dritte Internationale auf einen Wagen gehoben und von Pferden gezogen wurde, um als Trophäe Teil des Revolutionären Zuges durch die Straßen von Leningrad zu sein, war ein unwiderstehliches Bild.
Vorsichtig, schon zeichnend und schreibend, versuchte ich mich auch an Skulpturen. Es waren kleine Holzfiguren. In dieser Zeit baute ich auch Musikinstrumente: eine Drehorgel etwa mit sich bewegenden, tanzenden Figuren und eine Drehleier. Ich musizierte auch in einer Gruppe, die Straßentheater machte.

1979-1980
Ich ging auf die Suche nach einem Atelier in Eindhoven und fand es in einer alten Brauerei. Ich las Wittgenstein, das ABC der Relativität, Maslov, alles über die Gestaltpsychologie, In and out of the garbage can von Fritz Perls, über die Anti-Psychiatrie von R. D. Laing und eine Einführung in den Zen-Buddhismus von Profeßor Suzuki. Unterdeßen arbeitete ich an großen Konstruktionen. Später schrieb ich über diese Zeit den Text: Als ich noch ich selbst war. Ich wollte hinaus in die Welt. Ich wollte die Stadt sehen, in der Diane Arbus durch die Straßen gelaufen war. Ich wollte die Menschen sehen, die sie fotografiert hatte. Weihnachten 1979 brach ich nach New York auf, in der Hoffnung jenen schneebedeckten Washington Square vorzufinden, den ich aus einem Bildband von André Kertész kannte. Ich lief viele kalte Nächte durch die Straßen New Yorks, immerzu in ein Aufnahmegerät sprechend. Zurück in den Niederlanden machte ich mich auf die Suche nach einem größeren Atelier. Ich war voller Ideen und wollte etliche Skulpturen schaffen. Ich war 30 Jahre alt. Wie ein Verrückter stützte ich mich in die Arbeit, oft war ich Tag und Nacht in meinem Atelier. Ich war voller Enthusiasmus und gleichzeitig verwirrte mich der Gedanke an die Vielzahl der Skulpturen, die ich machen könnte. Noch heute könnte ich Werke hervorbringen, die ich damals vor mir sah, doch fand ich in jenen Tagen nicht die Zeit, sie zu verwirklichen. Ich war in eine Welt voller Skulpturen und Ideen eingetaucht und unabläßig damit beschäftigt, eine Auswahl zu treffen. Ich wollte meine Arbeiten außtellen..

1981
In der Straße, in der mein Atelier lag, befand sich der Außtellungsraum “Het Apollohuis”, der von den beiden Künstlern Paul Panhuysen und Remko Scha geleitet wurde. Ich kaufte mir meinen ersten Kalender und lud die beiden am 29. Januar 1981 um 20 Uhr in mein Atelier ein. Der Titel meiner Außtellung lautete Getimmerde Tekeningen (Gezimmerte Zeichnungen). Ich zeigte Skulpturen, Zeichnungen auf Leinwand, eine Mappe mit Siebdrucken. Während der Außtellungszeiten lief ein Band von sechs Stunden Länge mit von mir gespielter Klaviermusik. Ich spielte Musik, die sich aus dem einfachen Rhythmus eines Spazierganges ergab, und bei der Erzählstrang und Wiederholung einander abwechselten. Später im Jahr trat ich gemeinsam mit einer Tänzerin auf und war für zwölf Minuten Teil des Duos Panta Rei, mit melodisch minimaler Klaviermusik.
Ich war überzeugt, daß alle Gedanken und Vorstellungen, die in meinem Kopf existierten, nur dann zu verstehen sein würden, wenn sie konkret vergegenständlicht wurden. Dies tat ich. Voller Hingabe stürzte ich mich in die Welt. Ich schrieb in einem begleitenden Text zur Außtellung: “Die Funktion der Kunst ist, das bestehende, durch Evolution und Überlieferung erhaltene Arsenal an psychischen Inhalten auf einem bestimmten Niveau zu halten, um dadurch soviel wie möglich zu verstehen.”Und außerdem: “Dinge existieren. Schaut hin. Es gibt Tatsachen. Es gibt nun einmal eine Welt. Aber es gibt noch eine andere: die Gedankenwelt. Dort werden Dinge benannt. Dadurch wird die Welt verstanden. ”

1982
Am 21. März eröffnete meine Außtellung im “Living Room”in Amsterdam, die auf die Initiative eines Kunstgeschichtßtudenten und eines Künstlers aus Eindhoven zurückging. Beide besuchten mich in meinem Atelier und hatten große Pläne. Es war meine erste Außtellung in einer Galerie. Ich zeigte neue Arbeiten, u. a. De Reus (Der Riese), Het huis van mijn vader is verlaten (Das Haus meines Vaters ist verlaßen) und La Donna. Bei der Gruppenaußtellung Junge Kunst aus den Niederlanden) verkaufte ich zwei Monate später auf der Baseler Meße meine erste Skulptur. Ich wollte den Käufer kennen lernen, doch antwortete er auf meine Frage, warum er die Arbeit gekauft habe, mit den Worten: “Ich bin an dem Kunstwerk intereßiert, nicht an dem Künstler.”Daß meine Arbeiten zur Jungen Niederländischen Kunst zählten, begriff ich, als ich mein erstes Interview mit einer Niederländischen Zeitung führte. Im Baseler Katalogtext schrieb ich dazu: “The silence is acceßible. […] I do not exclude the world but want to include it. My sculptures listen”
Ich war voller Zuversicht, besonders als ich als Stipendiat nach New York eingeladen wurde, um ein halbes Jahr in einem Atelier in einer ehemaligen Public School zu arbeiten. “P.S.I”ist eine Organisation, die ein internationales “Artists-in-Residence”-Programm zusammenstellt. New York wurde von Künstlern damals als Nabel der Welt betrachtet. Am 5. August brach ich zum zweiten Mal nach New York auf, jetzt offiziell eingeladen und mit eigenem Atelier. Um eine Wohnung mußte ich mich selbst kümmern. Das Atelier war ein verwahrlostes Klaßenzimmer. Das erste, was ich tat, war das kaputte Türschloß durch ein Vorhängeschloß zu ersetzen. Der August war zum Arbeiten zu heiß, aber ab September war ich täglich um neun Uhr der erste Künstler im Gebäude. Manchmal kamen schwarze Jugendliche aus der Gegend zu Besuch. Im Winter trank ich im Keller Kaffee mit Leon, der Steinkohle in einen alten Ofen warf und damit die “P.S.I”heizte. Ich las Gedichte von E. E. Cummings und die Studie von Canetti über Maße und Macht. Auf meinem Tisch lag das Buch The complete etchings of Goya mit einem Vorwort von Aldous Huxley, das ich in einem Schrank gefunden hatte. Huxley schrieb über Goya: ” The only reality he knew was the world around him; and the longer he lived the more frightful did that world seem (…).”

1983
Zurück in den Niederlanden kam eine Reihe von Außtellungen auf mich zu. Meine Künstlerexistenz, die sich bisher vor allem in meinem Atelier abgespielt hatte, bekam durch die Außtellungen eine öffentliche und soziale Dimension. Das Gespräch über Kunst und die persönlichen Motive von Künstlern kündigten sich an. Ich mischte mich ein. Ich machte ein kleines Buch mit Selbstporträts mit dem Titel Het gebaar waarmee men dieren voedt (Die Geste, mit der man Tiere füttert) und schrieb dieses Gedicht:

“Sie sind die Geste, mit der man Tiere füttert
Sie haben keine Diener
Sie hungern nach mir
Haben aber keine Meßer und Gabel
Sie bereiten mein Mahl, aber eßen nicht mit
Sie fragen nichts, aber hören doch eine Antwort
Sie sind zu Gast, aber bleiben nicht zum Schlafen
Sie verteilen nichts
Sie nehmen nichts an
Sie sind sehr bekannt
Ihre Leidenschaft ist der Schnellverkehr
Ihr Kummer ist ein Laden
Sie kennen keinen Aufschub
Sie kennen kein Maß
Sie sind unbewaffnet
Sie verbrennen mich nicht
Durch Sie lernte ich Hochachtung”

1986
Ich fuhr nach Rom, Venedig und Arezzo. Ich wollte die Fresken der italienischen Meister sehen. Carpaccio in der Scuola degli Schiavoni zu betrachten, war ein Genuß. Der weite, ferne Blick und darin die minutiösen, heimischen Details. In Arezzo war die Madonna della Misericordia von Piero della Francesca, die aus ihrem Umhang ein Zelt macht, unter dem Männer und Frauen einen sicheren Unterschlupf finden, ein aufregendes, erotisches Bild. Auf einem kleinen Markt sah ich eine Frau, die hinter einem Stand voll farbiger Stoffe stand. Ich machte eine Skulptur mit dem Titel Verenigd buiten zichzelf (Vereinigt außerhalb sich selbst) ), die auf diese Erinnerung zurückgeht.
Ich besuchte eine kleine Insel vor der Küste von Venedig und schrieb in mein Notizbuch: “Ich bin auf einem Boot. […] Ich folge mit meinen Augen den Wellen, die vom Bootsrand wegrollen und die im Wellenschlag des Waßers verschwinden. Dieser Moment des Verschwindens ist nicht genau zu sehen, immer wieder folge ich einer Welle mit den Augen und immer wieder entgeht mir der Moment ihres Verschwindens; der Moment, in dem die Welle nicht mehr von anderen Wellen zu unterscheiden ist.”In Rom, der Stadt Pasolinis, fuhr ich durch die Außenbezirke ein, die ich aus dem Film Mamma Roma wieder erkannte. Ich summte die Jazzmusik von Theorema. Im Vatikan sah ich Raphaels Befreiung Petri, die mich tief erschütterte.

Ich arbeitete an einer Serie von Werken, bei der ich nicht mehr von einer Form oder einem bestimmten Volumen ausging. Die Einheit und Dichte der Skulptur wurde meinem Bedürfnis nicht mehr gerecht, eine Skulptur zu schaffen, die die Welt einschließt. Die Wirklichkeit sollte sich gewißermaßen durch eine Skulptur hindurchziehen, um ihr eine Existenzberechtigung zu geben. Mein Gedanke dabei war, daß eine Skulptur wie ein Ruf aus der Welt kommt und nicht aus mir selbst. Der Künstler heißt diesen Ruf willkommen. Das ist seine Arbeit, auf diese Weise entsteht eine Skulptur. Ein komplizierter Vorgang. Natürlich war der Engel in Raphaels Fresko, diesem Bild, das sich außerhalb meiner selbst befand, durch Gitter von mir getrennt, und doch rief er nach mir. Die Arbeit mit dem Titel Verenigd buiten zichzelf änderte ich zwei Monate später. Sie erhielt den neuen Titel: Go Home.

1987
Die äußerste Konsequenz einer Skulptur, durch die sich die Welt zieht, ist die Installation. Ich merkte, daß ich an einem Punkt angekommen war, an dem ich zwischen der Skulptur als einem in sich geschloßenen Volumen und einer Installation wählen mußte. Durch die Installation, so meine Argumentationsweise, verschwindet die Skulptur in der Welt, sie wird integriert, könnte man sagen. Trotzdem suchte ich nach einer Art und Weise, Skulpturen zu schaffen, bei der die Skulptur, das Objekt, der Mittelpunkt sein könnte. Abgesehen von historischen oder sozialen Zusammenhängen wollte ich der Vorstellungskraft freien Lauf laßen. Ich fing an Laternen zu machen, viele, kleine und große, in unterschiedlichen Formen. Ich mochte die Form, den einfachen Grundriß eines Hauses, die Materialen Zink, Meßing und Glas, ebenso wie die Symbolik. Ich beschäftigte mich auch mit Kreisen. Ich erinnerte mich an das Gemälde von Giorgio De Chirico mit einem rennenden Mädchen, das mit einem Stock einen Reifen vor sich her rollt. Bei Shakespeare fand ich den Satz “adjusting the sails of reason to the breeze of my longings². Und ich verstand, was er damit meinte. Ich akzeptierte meinen Widerwillen gegen die Möglichkeit und zugleich die Sehnsucht, Skulpturen zu schaffen, die sich in der Welt verlieren.
Es entstand Blind Faith, die den Sockel für einen riesigen Kreis bilden könnte, aber die Form einer Unterhose hat.

1988
Ich wurde in den niederländischen Pavillon nach Venedig eingeladen. Das war ein besonderes Projekt. Ich gab dort dem jungen deutschen Künstler Reinhard Niedermeier, den ich noch von der “P.S.I”in New York kannte, ein Interview. Seine erste Frage an mich offenbarte ein Problem, in das ich hineingeraten war: “Your work has grown more chic in the course of time, why” Ich reagierte erschrocken und verstand plötzlich, daß Konstruktionen vor allem eine ästhetische Wirkung haben. Die Konfrontation mit Bewertungsmethoden gefiel mir nur zum Teil. Die Figur wurde der humanistischen Tradition zugeordnet, in der der Mensch im Mittelpunkt steht und aufgrund der kunsttheoretischen Trennung zwischen figurativ und abstrakt wurde die Konstruktion als rationales Modell gedeutet.
Arbeiten mit Volumenwirkung können ein hohes Maß an Sinnlichkeit hervorrufen, da ihre Oberfläche zum Berühren einlädt. Das Volumen verhält sich wie ein Körper. Nie habe ich Rationalität und Sinnlichkeit, Konstruktion und Körper voneinander trennen können. Die Konstruktion war für mich immer eine Methode, ein höheres Maß an Abstraktion zu erreichen. Obwohl ich mich nicht mit Symbolik befaße, taucht sie immer wieder auf, da Symbolik mit Formen und Inhalten verflochten ist. Zum Beispiel ist Not for You, ein orangefarbener Kreis mit scharfen Spitzen, wie ein Auge mit Wimpern, gleichzeitig aber ist es auch ein brennender Kreis, durch den ein Löwe springt. Ebenso verhält es sich bei Untitled, aus Eisen mit Pferdehaar. Es hat die Form des Dekolletés eines Kleides von Madame Broglio, der Frau des Malers Mario Broglio, der von 1918 bis 1922 die Zeitschrift Valori Plastici herausgegeben hat.

1989
Ich kreierte ein Pseudonym. Vasily Wells, ein junger Kunstkritiker aus Rußland, mit dem ich mit Sinn für Humor über Kunst reden konnte, schrieb anläßlich eines Besuchs in meinem Atelier: “Und der Künstler, was weiß er über das Kunstwerk. Davon abgesehen, auch wenn wir ihn zum Sprechen zwingen würden, er würde nichts sagen. Auf ihm ruht eine schwerere Last, gegenüber einer größeren Wahrheit: er weiß es nicht. Nein, überlaßen wir ihn seinem Haus, seiner Wildnis, seinen Pferden …”Ich gönnte es Vasily, daß er Recht hatte.
Für das Van Abbemuseum machte ich an meinem Wohnort eine Außtellung mit dem Titel Tentoonstelling (Außtellung) . Die Erfahrungen, die ich bei der Biennale in Venedig gemacht hatte, konnte ich bei der neuen Ausrichtung in Eindhoven anwenden. Hier sind die Beziehung der Arbeiten untereinander und ihre Kombination wichtiger als ihre Positionen im Raum. Magrittes Gemälde La Jeuneße illustrée brachte mich dazu, über Ordnungsprinzipien nachzudenken. Ich wollte die Skulpturen nicht isolieren. Ich wollte, von ihrer Bedeutung abgesehen, eine Ordnung herstellen und das ganze Spektrum der Art und Weise, wie Menschen sich in einem Raum verteilen, als Beispiel für die Anordnung meiner Arbeiten nutzen. Im Katalog ist auf den linken Seiten immer ein leerer Raum zu sehen, mit einem von mir geschriebenen Text. Auf den rechten Seiten bieten Fotos eine Übersicht der Räume mit meinen Arbeiten. Ich machte in diesem Jahr Figuren, Konstruktionen, Volumina, transparente Skulpturen und Skulpturen aus Stoff.

1990
Eckhard Schneider, den ich von der Außtellung in Nordhorn (1986) kannte, lud mich zu einer Außtellung des Kunstvereins Hannover ein. Es war meine erste große Außtellung in Deutschland. Die Arbeiten hatte ich im vergangenen Jahr eigens für die Außtellung in Hannover entworfen. Das Katalogkonzept, die Analogie vom leeren und bestückten Raum, war daßelbe wie das beim Van Abbemuseum. Ich freute mich auf die Außtellung, lud alle meine Freunde ein und übernahm, was sie nie erfahren haben, die Übernachtungskosten.

Ich begann an den ersten Souvenirs zu arbeiten. Ab dem Moment, an dem ich Skulpturen mit Bezug zueinander platzierte, konnte ich dieses Prinzip auch bei einer einzigen Arbeit anwenden. Die Souvenirs fungierten als eine Art Brücke zwischen den Zeichnungen und Skulpturen. Die Ansprüche des Raumes waren irrelevant. Das gleichzeitige Auftreten unterschiedlicher Gedanken und Inhalte konnte hier unmittelbar sichtbar gemacht werden. Ich arbeitete obseßiv an diesen Werken. Es nahm kein Ende. Vorstellungen von Glück und Unglück, Gewalt und Erotik, Idealisierung und primitiver Grobheit, ballten sich zusammen. Ich nannte die Arbeiten Souvenirs, weil sie einerseits Bilder aus meiner Erinnerung waren und andererseits kitschartige Objekte darstellten. Die Souvenirs waren das Produkt einer Maschine, die Vorstellungen generierte, und die scheinbar nicht zu stoppen war.

Im Oktober wurde für die neue Kunsthalle in Rotterdam ein Wettbewerb ausgeschrieben. Ich beteiligte mich mit einem Entwurf. Ich wollte rund um die Kunsthalle eine blaue Betonfläche anlegen und ein Kamel mit Begleiter darauf stellen. Eine Skulptur, bei der eine gewiße Fremdheit mit Alltäglichkeit verbunden wäre. Wie eine Vision sollte die Skulptur aus der blauen Fläche auftauchen. Ich wurde der glückliche Gewinner des Wettbewerbs. Einen Tag vor ihrer Eröffnung wurde die Skulptur 1993, nicht ohne Probleme auf dem Dach der Kunsthalle aufgestellt, als wäre sie auf dem Weg zum Meer.

1991
Meine erste Außtellung als Kurator machte ich auf Einladung von Chris Dercon für Witte de With in Rotterdam. Ich lud 13 Künstler für Facts and Rumours ein. Mein erster Gedanke war, eine Arbeit von Diane Arbus zu zeigen. Es gibt einen Satz von ihr, den ich schon mein ganzes Leben mit mir herumtrage. Er stammt aus einem Buch, das ich 1971 gekauft habe. Sie schrieb über “The gap between intention and effect”. Als Person gibt man Signale, mit denen man mitteilt, wer man ist, doch weiß man absolut nicht, wie andere die Signale deuten. Ihre Fotos zeigen dieses Dilemma zwischen dem, was man beabsichtigt und dem, was man unabsichtlich preisgibt. Der liebevolle Blick, mit dem sie Menschen porträtierte, ein Blick, bei dem jegliche Form von Kategorisierung fehlt, ist eine wichtige Richtschnur. Ich fühlte mich glücklich, eine Außtellung mit Künstlern durchführen zu können.

Im Winter ging ich in Lublin (Polen) zur Galeria Biala, einem Außtellungsraum in einem alten Kloster der Stadt, in dem auch Ballett unterrichtet wurde und eine Musikschule untergebracht war. Die Galerie wurde von dem Künstlerehepaar Anna Nawrot und Jan Gryka geführt. Außerdem arbeiteten die beiden in einer abgelegenen, verlaßenen Schule auf dem Land mit Kindern, die von überallher zum Zeichen und Malen kamen.

1993
Wenn ein Kunstwerk als bedeutend empfunden wird, hat das meist mit dem Aspekt der Unveränderlichkeit zu tun. Bei Objekten ist das klar. Sie verändern sich nicht, sie bleiben. Ein Kunstwerk ist wie ein Behältnis. Alles, was man darüber denken mag, paßt hinein. Für die Außtellung Rendez-Vous im Museum für Zeitgenößische Kunst in Gent wurden mehr als 800 Dinge gesammelt, die die Bewohner der Stadt dem Museum als ihre ’liebsten Gegenstände¹ zeitweise zur Verfügung stellten: ein kleiner zusammenklappbarer Holzstuhl, aufgestöbert auf einer Müllhalde in der Nähe eines Salzsees in Spanien, eine Holzlokomotive ohne Vorderräder, eine türkische Waßerpfeife, ein Steinchen und ein Stückchen Glas, gefunden in London, Holzlöffel, eine Filmrolle in einer Kaßette, eine Hose und ein Hemd, zwei Ballettschuhe, eine alte Kaffeemühle, ein Fleischbrett, ein Marmeladenglas, ein kleiner Hut mit blauen Federn, ein kleiner Esel aus Ton, ein antikes Doppelbett, ein Telefon. Gegenstände sind Teil eines Bindungskults, bei dem Erinnerungen lebendig gehalten werden. Aber einmal vom Besitzer getrennt, sind diese Gegenstände leer, ohne Erinnerung. Bei einem Kunstwerk ist das anders, obwohl es sich auch um einen Gegenstand handelt. Alles, was zum Kunstwerk geführt hat, die Beweggründe etwa, bekannt oder unbekannt, Wünsche oder Obseßionen werden nicht zu Erinnerungen, sondern transformieren sich zu einem neuen Ganzen. Das, was zum Kunstwerk geführt hat, ist nicht mehr in ihm wieder zu finden. Wenn ich mir ein Kunstwerk anschaue, das ich gerade fertiggestellt habe, weiß ich eigentlich nicht, was ich sehe.

Im Rahmen der polnischen Kunstmanifestation Construction in Progreß), die zum ersten Mal 1981 von dem Künstler Ryszard Wasko illegal organisiert wurde, ging ich nach Lødz. Hier traf ich auch Allen Ginsberg, der aus seinen Werken las. Ich liebe seine Poesie, und die Art, wie er sich auf seiner kleinen Orgel begleitet, hatte ich einmal auf einem Poesiefestival in Eindhoven bewundert.
In Lødz restaurierte ich einen Spielplatz mitten in der Stadt. Der Spielplatz war zu einem verlaßenen Ort geworden, die Spielgeräte lagen kaputt auf dem Boden. Als ich mit dem Malern fertig war und die Schaukeln wieder an neuen Ketten hingen – zwei 16-jährige Schüler hatten mir dabei geholfen – kamen die Mütter mit ihren Kindern. Es war wieder ein Spielplatz.

1994
Kiyoshi Wako lud mich zu einer Außtellung seiner Galerie in Tokio ein. Kennen gelernt hatte ich ihn durch meinen Freund Yuji Takeoka auf der documenta. Wako wollte von der japanischen Kunstwelt eine Brücke zur europäischen Kunst schlagen. Er bat mich, einen Brief über mein Werk zu schreiben. Gemeinsam stellten wir einen kleinen Katalog mit dem Titel There is always another way of doing things zusammen. Auf den Straßen Tokios kam ich mir viel zu groß vor und konnte mich kaum bewegen. Ich bekam Schulterschmerzen und zweimal täglich rasierte ich mich. Was war bloß los? Auch meine Skulpturen waren zu groß und zu schwer. Mein Gefühl für Größe schien fest mit einer europäischen Norm verbunden zu sein, die mitten in Tokio nicht zu finden war. Ich wurde von dem Problem der Größe überrascht. In Tokio gibt es zwei Arten von Größe: die der Hochhäuser, Autobahnen, Straßenüberführungen und Brücken einerseits und die der Häuser und Straßen der Vorkriegszeit, bei der ein Fahrrad und ein Blumentopf gewaltige Objekte sind. Kieselsteine und Orangen sind hier Gegenstände, die auffallen. Meine Arbeiten gehörten weder zum monumentalisierten Kapitalismus noch zu den traditionellen japanischen Gegenständen. Für mich hat jede Skulptur seine eigene Dimension. Die Größe eines Werks ist für mich eine Konstante. Sie ist das erste, was ich weiß, wenn ich mit einer Arbeit beginne. Und ich mache nie Modelle. Nie ist mein Werk zu klein oder zu groß. In Tokio erkannte ich, daß groß und klein von der Kultur bestimmte Variablen sind, doch wußte ich nicht, wie ich damit umgehen sollte.

Seit 1990 machte ich die Souvenirs, wollte nun aber damit aufhören und drehte das Video Vaarwel (Lebewohl) ). Ich stellte alle Arbeiten in einer kreisförmigen Hügellandschaft aus dunkelblauem Samt auf, die einen Durchmeßer von sechs Metern hatte. Die Kamera stellte ich mitten in die Landschaft und drehte sie langsam. Nach und nach schoben sich die Souvenirs ins Bild und wieder hinaus. Die Farben wurden beim Schnitt so manipuliert, daß die Souvenirs in orangegelbem Licht erscheinen, als stünden sie in Flammen. Schrille, hohe chinesische Frauenstimmen begleiteten diese letzte Reise. Das war mein Abschied von den Souvenirs.

1996
Die Natur in einem Skulpturenpark gibt der Skulpturensammlung eine lebendige Umgebung. Immer verändert sich etwas, was niemand so geplant hat und niemand kontrollieren kann. Die Natur hat ihre eigene Zeit und Menschen mögen das. Als ich im Freiluftmuseum Middelheim in Antwerpen herumlief, bereitete es mir Schwierigkeiten, einen geeigneten Platz für meine Arbeit zu finden. Die Natur ist voller Illusionen von Schönheit, Harmonie und Göttlichkeit. Gleichzeitig bekommt alles, was in der Natur existiert, durch die Aneinanderreihung unbeständiger Eindrücke einen beiläufigen Charakter. Hier ein schöner Zweig, dort ein fallendes Blatt. Wenn die Sonne scheint, ist der Park ein Fest für die Augen. Eine trügerische Umgebung für meine Kunst, denn meine Skulpturen feiern keine Feste. Manchmal denke ich, sie entfliehen der Wirklichkeit oder aber, sie suchen nach ihr. Die Skulptur entfernt sich von etwas oder geht darauf zu, sie verbirgt oder verdeutlicht. Diese Problematik wird in der Natur neutralisiert, weil die Natur eine Konstante ist, immer gut. Kunst aber sucht nach einer Beziehung, nimmt eine Position zur Wirklichkeit ein und kennt auch das Nicht-Gute. Für Middelheim habe ich eigens ein Werk geschaffen. Telling no lies ist eine Skulptur, die unfertig erscheint, wie dies nur die Kunst zuläßt.
Der Titel des Werkes Morgen ist alles anders bezieht sich nicht auf das Kunstwerk, denn das verändert sich nicht. Morgen í s t alles anders!
1997
Für meine zweite Außtellung bei Wako Works of Art in Tokio machte ich eine Serie von sechs unterschiedlich großen Aluminiumfiguren mit dem Titel Anna. Es ist von mir die erste Serie einer Gruppe von Figuren, die zusammengehören und bei denen die Form variiert. Ich hatte immer das Gefühl, daß sich die Erkennbarkeit des einzelnen Objekts in einer Serie verringert. Doch kann sie sich gerade durch die Möglichkeit der Vergleichbarkeit auch verstärken. In jedem Fall entsteht eine Deutungsfreiheit, weil es mehrere Skulpturen gibt, die einander ähneln. Der Titel verweist auf das Liebesgedicht Anna Blume von Kurt Schwitters aus dem Jahr 1919, in dem der Künstler auf ähnlich provozierende, erotische und lustige Weise mit seiner Verliebtheit umgeht wie mit seinen Worten. Wenn Männer ohne Worte einen Frauenkörper beschreiben, benutzen sie beide Hände und führen sie synchron von oben nach unten den imaginären Frauenkörper entlang: Brüste, Taille, Po. Diese imaginären, symmetrischen Körper sind zu meinen Skulpturen geworden. Eigentlich haben die Hände von vielen, imaginären Männern diese Skulpturen für mich geschaffen. Das Wort Anna ist auch symmetrisch:

“[ …] Weißt du es, Anna, weißt du es schon
Man kann dich auch von hinten lesen,
und du, du herrlichste von allen,
du bist von hinten wie von vorne: a-n-n-a”

1999
Seit diesem Jahr arbeite ich mit dem in den Niederlanden lebenden, iranischen Flüchtling Kader Abdollah zusammen, der hier ein gefeierter Schriftsteller ist und der mit Mizra eine wöchentliche Kolumne in “De Volkskrant”hat. Er mischt sich mit seinen Kurzgeschichten in die öffentliche Debatte ein und ist bei der Diskußion um Integration, Religion und politische Entscheidungen eine wichtige und neue Stimme. Jeden Sonntag zwischen 12 und 13 Uhr warte ich auf seinem Text, den er mir per Email zuschickt. Diesen Text beantworte ich mit einer Zeichnung. Es ist wunderbar, daß sich meine Zeichnungen und die erzählende, islamische Schriftkultur, die Kader aus dem Iran mitgebracht hat, begegnen. Wir grüßen einander jeden Sonntag und mit einem Lächeln schicke ich ihm das Bild zu seinem Text. Wir haben einen eigenen Platz in der Zeitung. Ich schrieb erneut an einem Gedichtband

“so viele Füße, die sanft den Boden testen
Ruhe finden in der Gegenform
und sich in dieser Ruhe unaufhörlich bewegen
als wären sie unterwegs”

2000
Für die Unbeweglichen

“Nein, ich möchte nichts mehr hören, sagte ich laut; zuhören ist gehorchen und davon habe ich jetzt genug, laß´ den Körper sprech… ich konnte meinen Satz nicht beenden. Laß den Körper sprechen, wollte ich sagen, aber wenn der Körper spricht, dann schweigt der Mensch. Nicht immer ist der Mensch Herr über sich selbst. Und ein Feind findet sich schnell. Einen Augenblick abwesend und man steht an der Eingangstür einer alten Wohnung, singt mit zitternder Stimme ein noch älteres Lied voller Angst und Melancholie und scheuert seine Nägel an den Steinen. Aua. Zögere nicht. Ehrt an diesem großen Tag die brennenden Blumen aus dem armen Land. Sie, die auf dem staubigen Hof nutzlos Feuer fingen. Männer fliehen mit ihrem schwarzen Atem und finden ein springendes Auge, das sie dauerhaft erleuchten möchte. Lachender Stein, zögere nicht mit dem rufenden Bein am Meer entlang zu laufen, spiele den tanzenden Meter und sage ja … wenn es geht. Und vor allem: bleibe.”

Ich wollte den Stillstand beschreiben. Ich leide manchmal mehr, manchmal weniger, aber immer ein bißchen am Verlangen nach Unveränderlichkeit, nach Stillstand. Das ist unangenehm, habe ich festgestellt, aber nicht ohne Sinn: Im Verlangen entsteht ein Raum, in dem die Poesie sich entwickeln kann. Poesie schlägt eine Brücke zwischen zwei Welten, in denen das Unmögliche eine Beziehung mit dem Möglichen eingeht. Im Möglichen bleibt das Unmögliche als Überrest bestehen. Die Poesie gibt dem Unmöglichen einen Platz, es verschwindet nicht. Das Unmögliche geht bei allem mit.

2002
Ich machte From Ocean to Ocean. Ich liebe Stoffe, die locker fallen und sich leicht bewegen, ich liebe ihren Schatten und die Sinnlichkeit. Ich bin von Lichteffekten auf Stoffen und Farben fasziniert und von fließenden Schattenlinien, wie bei Giotto, Van Eyck, Memling und Velázquez. Für einen Bildhauer ist es unmöglich, diese Effekte, das Drama des fallenden Stoffes, ganz zu beherrschen und diese Unkontrollierbarkeit gefällt mir. Wenn ich mit Stoff arbeite, gebe ich die gestaltenden Kräfte teilweise aus der Hand. Ich liefere mich der Schwerkraft aus, mit der ich immer gut zusammenarbeiten muß. Die Schwerkraft ist zwingend, aber auch schöpferisch. Doch da ist noch mehr. Stoff, der wie ein Tuch über eine Form fällt, bedeckt diese Form und schafft eine Suggestivität, die die Form von sich aus nicht hat. Der Stoff verhüllt die Form, wie ein Kleidungßtück den nackten Körper verhüllt. Aber an der Skulptur gibt es nichts zu verhüllen. Die Verhüllung ist ihre Nacktheit.

2004
Ich machte Lonely feelings on landing und There is no song about it. Sie haben viel miteinander gemein, obwohl das nicht offensichtlich ist: die Kolonisten von Amerika. Ich habe einmal ein kleines, in London herausgegebenes Buch gekauft, das 1845 geschrieben wurde. Der Emigrant’s Guide ist ein Ratgeber, der denjenigen Instruktionen gab, die nach Amerika aufbrachen: die Wahl des Schiffes, des Proviants, der Kleidung, Umgangsformen während der Reise und Informationen darüber, was bei der Ankunft zu tun ist, wann der Zug abfährt, die Wahl des Hotels, wo sich der Kanal mit den Dampfschiffen befindet, wo ein Arzt ist. Ein Kapitel heißt Lonely feelings on landing, geschrieben für all jene, die mit den Folgen ihres Entschlußes, das eigene Land zu verlaßen, konfrontiert wurden und in großer Zahl als Fremde in Amerika ankamen. Zwischen 1850 und 1890 verließen 28 Millionen Menschen Europa. Ich habe ein Buch des dänischen Fotografen und Journalisten Jacob Riis, der Aufnahmen von den überbevölkerten Elendsvierteln in New York machte und darüber auch das Buch How the other half lives schrieb.

Lonely feelings on landing ist eine hockende Figur mit ausgestrecktem Bein, die einem Werk ähnelt, das ich 1984 in Fontevraud gemacht habe. Diese Figur hat nur einen Arm, mit dem sie sich auf den Boden stützt. Das ist nicht dem Gleichgewicht geschuldet. Ich wollte vielmehr, daß die Figur den Boden hinter sich noch einmal berührt, bevor sie ihn für immer verläßt. Als ich den frei stehenden Stein der anderen Skulptur modellierte, erinnerte ich mich an einen Satz aus einem Indianerlied, das ich aufgeschrieben hatte: “There is no song about it.”Ich stellte mir vor, wie sprachlos die Indianer gewesen sein mußten, als sie die Menschenmaßen ankommen sahen, die Amerika in kurzer Zeit überschwemmten und dann doch voller Verzweiflung zueinander sagten: “There is no song about it.”Als ich das Lied später wieder fand, stellte sich heraus, daß es von etwas ganz anderem handelte. Es besang die Schönheit der Tiere.

2007
Aus goldfarbenen Aluminiumröhren, die sonst in einem schönen Zimmer dazu benutzt werden, um Gardinen daran aufzuhängen, machte ich eine Kette, bestehend aus 19 Ringen mit einem Durchmeßer von 1,10 m. Die Skulptur entsteht, wenn die zusammengesetzten Ringe sich im Gleichgewicht befinden. Wie die Ringe sich im Gleichgewicht aneinanderfügen ist jedes Mal verschieden, auf diese Weise verändert sich die Skulptur. Die Skulptur kann leicht umfallen. Es ist ein fröhlicher Moment, wenn das paßiert. In meinem Atelier fiel sie unzählige Male um und ich baute sie mit viel Spaß wieder auf. Das klirrende Geräusch hat genau den Klang eines Armreifs am Handgelenk einer Tänzerin, nur etwas lauter. Ich mußte an das kubanische Lied Guantanamera denken, ein Tanzlied. Ich hatte für eine tanzende Riesin einen Armreif gemacht! Die Aßoziation mit einer Riesin stellte die Skulptur in einen anderen Maßstab, genau wie bei der Skulptur mit dem Titel 40.000 km. Für jemanden, der weiß, daß diese Zahl dem Umfang der Erde entspricht, stellt die auf dem Boden einer Kugel hockende Figur eine Riesenfigur dar, die auf der Erde sitzt. Ich fragte mich, ob das Lied Guantanamera etwas mit Guantanamo Bay zu tun haben könnte, das täglich in den Nachrichten ist. Wie sich heraußtellte, ist Guantanamera die Bezeichnung der Einwohner des Dorfes Guantánamo. Die Melodie des Tanzliedes ist ein Mitbringsel der spanischen Herrscher und besingt ein Mädchen aus Guantánamo (“Guajira”), während es tanzt. Später wurde das Lied zum Symbol des kubanischen Widerstands, blieb aber weiterhin ein populäres Tanzlied. Ich gab meiner Skulptur den Titel Guantanamera. Ich war beeindruckt von der historisch, politischen Dimension und wollte meine Arbeit mit dieser Geschichte verbinden. Später störte mich gerade die Verknüpfung von Traditionen und Ideologien. Die Skulptur mußte frei sein und so änderte ich den Titel. Sie heißt jetzt Follow me.

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